Neue Pflichten für den Vereinsvorstand bei drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung
Im Rahmen der Aktienrechtsreform wurden auch die entsprechenden Artikel betreffend Zahlungsunfähigkeit, Kapitalverlust, Überschuldung und Aufwertung (Art. 725 ff. OR) überarbeitet. Davon sind teilweise auch Vereine und Verbände betroffen.
Ab dem 1. Januar 2023 gilt daher neu Folgendes:
Gemäss Art. 69d ZGB sind für Vereine, die verpflichtet sind, sich im Handelsregister einzutragen, bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Bestimmungen gemäss Art. 725, 725b und 725c OR massgebend.
Wann ist ein Verein im Handelsregister (HR) eintragungspflichtig?
Ein Verein ist gemäss Art. 61 ZGB im HR eintragungspflichtig, wenn er zu einer ordentlichen Revision verpflichtet ist oder für seinen Zweck ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreibt. Die Beurteilung des ersten Kriteriums ist relativ einfach. Das zweite Kriterium ist im Gesetz nicht definiert und führt in der Praxis immer wieder zu Diskussionen. Aus der Rechtsprechung ergeben sich jedoch mittlerweile mögliche Merkmale, die auf ein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe hinweisen. Folgende Merkmale können zu Hilfe genommen werden:
- Finanzielle Kenngrössen: Umsatz, Bilanzsumme, Kapitalintensität, Lohnsumme etc.
- Geschäftsbeziehungen zu einem grösseren Kreis von Lieferanten und/oder Kunden (nicht nur Mitglieder)
- Dienstleistungs- und Produkteangebot sowie Anzahl Betriebsstätten, Verkaufsstellen, Filialen, Standorte etc.
- Professionalität der Geschäftsleitung, Organisationsgrad und Strukturen, Anzahl Mitarbeitende etc.
Was ist eine drohende Zahlungsunfähigkeit?
Von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit spricht man, wenn der Verein über eine längere Zeitdauer voraussichtlich nicht oder kaum in der Lage sein wird, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen (z.B. Zahlungen an Lieferanten, Löhne, Sozialversicherungen). Saisonale oder vorübergehende Zahlungsengpässe gelten hingegen nicht als Zahlungsunfähigkeit.
Die Massnahmen, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu verhindern sind komplex. Die Ursache der Zahlungsunfähigkeit ist zu analysieren. Es ist ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der zu ergreifenden Massnahmen, ob die Zahlungsunfähigkeit aufgrund eines Ausfalls eines wesentlichen Projektpartners erfolgte, aber das Geschäftsmodell grundsätzlich funktioniert, oder ob das Geschäftsmodell schon seit mehreren Jahren kränkelt und negative Ergebnisse und negative Cashflows generiert.
Nicht selten ist die drohende Zahlungsunfähigkeit das weitaus akutere Problem als eine Überschuldung. Ein Betrieb mit Überschuldung, aber genügend Liquidität lässt sich in der Regel «einfacher» sanieren als umgekehrt.
Was ist eine Überschuldung?
Von einer Überschuldung spricht man, wenn das Fremdkapital grösser ist als die Aktiven. Oder umgekehrt – wenn das Vereinskapital negativ ist.
Eine Überschuldung passiert in der Regel nicht einfach so über Nacht, sondern zeichnet sich teilweise über mehrere Jahre mit stetig negativen Ergebnissen ab. Nebst den langfristigen Massnahmen zur Anpassung des Geschäftsmodells, gibt der Gesetzgeber auch eine gewisse Hilfestellung zur kurzfristigen Beseitigung einer Überschuldung. Aber Achtung: folgende Massnahmen sind nur Bilanzkosmetik und keine echte Sanierung, u.a. die Aufwertung von Grundstücken und Beteiligungen.
Art. 69d ZGB verweist auf die entsprechenden Artikel im Aktienrecht (Art. 725 ff. OR). Zur Behebung einer Überschuldung dürfen Grundstücke und Beteiligungen an Unternehmen über ihre Anschaffungs- oder Herstellkosten aufgewertet werden, wenn der wirkliche Wert höher ist. Der Aufwertungsbetrag muss gesondert unter den gesetzlichen Gewinnreserven als sogenannte Aufwertungsreserve ausgewiesen werden. Dieser Vorgang muss durch einen zugelassenen Revisor geprüft werden.
Man realisiert sofort, wir haben hier weder mehr Geld noch das Geschäftsmodell fit gemacht. Wir haben lediglich Zeit gewonnen, durch die Aufwertung von Aktiven und Verbuchung des Aufwertungsbetrags im Eigenkapital.
Darlehen mit Rangrücktritt gemäss Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1: Eine der häufigsten kurzfristig wirkenden Massnahem bei Überschuldungen ist das Darlehen mit Rangrücktritt. Entweder auf bestehenden Darlehen oder auf neu zu gewährenden Darlehen, wenn zusätzlich flüssige Mittel benötigt werden. Die Gewährung eines Rangrücktrittes ist aber noch lange keine Sanierungsmassnahme, man verhindert damit nur den Gang zum Richter. Die Ursachen der finanziellen Schieflage müssen dringendst analysiert und beseitigt werden.
Bei Kapitalgesellschaften gibt es in der Regel einen (Anker-)Aktionär, welcher am Fortbestand der Unternehmung ein hohes Interesse hat. Bei Vereinen gestaltet sich die Suche nach Darlehensgebern erfahrungsgemäss schwieriger, kommen Sie im Normalfall meistens ohne Darlehen aus bzw. benötigen ein Darlehen erst bei finanziellem Ungemach.
Ein Darlehen mit Rangrücktritt bleibt ein Darlehen und ist entsprechend als Fremdkapital auszuweisen. Für die Berechnung der Überschuldung wird dieses Darlehen jedoch ausgeklammert (Aktiven minus Fremdkapital) bzw. als Eigenkapital betrachtet (negatives vs. positives Eigenkapital).
Mit dem Rangrücktritt erklärt der Gläubiger schriftlich, dass er im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktritt und seine Forderung stundet, bis alle anderen Gläubiger befriedigt sind. Ab dem 1. Januar 2023 muss der Rangrücktritt auch allfällige Zinsforderungen umfassen. Aus Sicht des Rangrücktrittgebers ebenfalls nachteilig ist, dass der Rangrücktritt während der Überschuldung aktuell nicht reduziert werden kann. Dementsprechend kommen als Darlehensgeber nur natürliche und juristische Personen in Frage, welche mit genügend finanziellem Polster unterwegs sind.
Schlussfolgerung
Neue Pflichten für den Vorstand sind vorliegend auch mit zusätzlichen Haftungsrisiken verbunden. Pflichtverletzungen (nicht handeln, zu spät handeln) können unter Umständen auch in Schadenersatzforderungen seitens der Gläubiger gegenüber dem Vorstand münden.
Hier geht es um die finanzielle Führung eines Vereins, also eigentlich nichts Neues. Als Vorstand haben Sie dafür zu sorgen, dass ein für die Organisation angemessenes Führungsinstrument, sprich Budget und Finanzplan, sowie weitere wichtige Kennzahlen zur Steuerung des Geschäfts zeitnah und stufengerecht im Vorstand analysiert und besprochen werden und daraus Massnahmen ergriffen werden. Dieser Prozess ist entsprechend zu dokumentieren (bspw. mittels Protokollierung, Pendenzenlisten etc.).